Die Inselbahn                                                                                                                                              zurück

 

Lange bevor das Normalspurgleis 1927 die Insel Sylt erreichte, hatte die Insel bereits ihre eigene meterspurige Inselbahn. Und die entstand, wie auf vielen anderen Inseln auch, um eine bessere Verkehrsanbindung zwischen der Fähre auf der Wattseite und dem Seebad an der Seeseite der Insel herzustellen. 1888 errichtete die Kurdirektion die erste Bahn zwischen Westerland und dem Fährhafen Munkmarsch nachdem zuvor der Bau einer Chaussee abgelehnt worden war. Die »Sylter Dampfspurbahn« war die Keimzelle des Netzes, das sich später über die gesamte Insel erstreckte. Den Betrieb übernahm die Sylter Dampfschifffahrtsgesellschaft (DSG), die auch den Fährbetrieb zwischen Munkmarsch und Hoyerschleuse durchführte.

 

Auch die HAPAG nutzte die Munkmarscher Dampfspurbahn, obwohl die von Hamburg ausgehenden Dampfer große Probleme hatten: Sie mussten von Süden kommend Sylt fast völlig umrunden. Und um die letzten Meter zum Hafen zu erreichen, mussten die Fahrgäste auch noch ausgebootet werden, da im Munkmarscher Hafen das Wasser nicht ausreichend Tiefgang für die Dampfer hatte. Die HAPAG entschloss sich daher zu einem weitreichenden Schritt und baute 1901 einen eigenen Anleger am Südende Sylts bei Hörnum, der etwas tiefwassersicherer war und zudem in deutlich kürzerer Zeit erreicht werden konnte. Allerdings war es von Hörnum nach Westerland ein weiter Weg über die Insel, der über versandete und holprige Straßen führte. Also baute die HAPAG auch noch eine eigene Meterspurbahn, die von Hörnum aus nach Westerland an einen neuen Südbahnhof führte. Eine Gleisverbindung zur Munkmarscher Bahn, die nun gewissermaßen zur Konkurrenz gehörte, gab es nicht.

 

Nachdem nun der Süden der Insel bestens per Bahn erschlossen war, regte sich Protest in den nördlichen Inseldörfern, die sich benachteiligt fühlten. So wurde 1903 auch ein Gleis von der Munkmarscher Dampfspurbahn aus Richtung Norden verlegt, das zunächst bis nach Kampen führte. 1908 wurde die Fortsetzung bis List in Betrieb genommen.

 

Mit dem Bau des Hindenburgdamms und der normalspurigen Reichsbahnstrecke zwischen 1923 und 1927 war ein Ende der aufwändigen Schiffsreisen in greifbare Nähe gerückt, und die Munkmarscher Bahn sowie die Südbahn würden ihre Funktion als Schiffszubringer bald verlieren. Das Geschäftsmodell musste angepasst und auf den Inselnahverkehr umstrukturiert werden. Ab 1926 wurden die beiden Bahnen in einem neuen Kleinbahnhof gegenüber des Reichsbahnhofs zusammengefasst, so dass die auf Sylt ankommenden Reisenden bequem ihre schmalspurigen Anschlusszüge Richtung Hörnum oder List erreichen konnten. Ab 1929 wurden beide Bahnen unter der Sylter Inselbahn AG zusammengefasst, nachdem die Munkmarscher Strecke bereits mangels Bedarfs eingestellt worden war.

 

Ab 1940 wurde die Sylter Inselbahn dem Reich überschrieben, das die Bahn für die militärstrategische Ausrichtung der Insel benötigte und in den Dünen zahllose Bunker und Geschützstellungen auf der Schiene bediente. Dafür wurden viele Draisinen und Motorloks beschafft, von denen einige auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch vorhanden waren.

 

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es die Bahnverbindung von Westerland nach List und nach Hörnum. Bis 1955 setzte die Sylter Inselbahn kleine Dampflokomotiven ein. Ab 1953 wurden als Ersatz für diese Lokomotiven fünf Triebwagen in Dienst gestellt. Diese Triebwagen bestanden aus Zugmaschinen, die Borgward für den Schienenbetrieb umgebaut hatte und Aufliegern und Anhängern, die bei der SVG in Westerland gebaut wurden. 1954 wurde die Sylter Verkehrsgesellschaft gegründet, die die Inselbahn ab 1957 mit einer Straßenbahnkonzession betrieb und so zahlreiche Vereinfachungen durchsetzen konnte.  Die Triebwagen waren als Straßenbahnen zugelassen, was die Investition in teure Sicherheitstechnik sparte.

 

Es wurden Triebwagen verschiedener Kleinbahnen aufgekauft, die dann noch einige Jahre auf Sylt fuhren. Neben Wismarer Schienenbussen und Talbot-Triebwagen waren fünf Borgward-Triebwagen im Einsatz, die aus umgebauten Sattelschlepper-Zugmaschinen in eigener Werkstatt entstanden. Die Borgward Triebwagen erwiesen sich als äußerst robust und blieben bis zur Stilllegung der Inselbahn im Dezember 1970 im Einsatz.

 

Obwohl ihr Erhalt von Verkehrsplanern empfohlen wurde, kam 1970 das Aus für die Sylter Inselbahn. Grund dafür war der schlechte Zustand der Gleisanlagen, deren Instandsetzung sehr hohe Kosten verursacht hätte. Diese Investition waren für die SVG nicht zu finanzieren. Das Land Schleswig-Holstein lehnte eine Bezuschussung ab, was sich in den folgenden Jahren als Fehler erweisen sollte. Heute wäre die Inselbahn sicher eine besondere Attraktion für die Insel.

 

Was blieb von Inselbahn? Im Straßenbahnmuseum in Hannover gibt es noch den Borgward Leichttriebwagen LT4, der sich allerdings in einem erbärmlichen Zustand befindet. Einige alte Wagons der Inselbahn wurden restauriert und sind heute bei der Selfkantbahn im Einsatz.

 

Seit 2013 ist die SVG dran, mit Hilfe von Spendengeldern ein L.T. Borgward-Schienenbus, der als rasende Emma oder Nivea-Express unter den Inselbahn-Freunden bekannt und beliebt, und im Hannoverschen Straßenbahnmuseum gelagert wurde, zu restaurieren. Außerdem gibt es möglicherweise noch eine Diesellok der Inselbahn in der Schweiz. Auf Sylt ist von der Inselbahn nichts geblieben. Die alten Bahntrassen nach List und nach Hörnum dienen heute als Fahrradwege.

 

 

Heute wünschen sich viele Sylter die nie vergessene Schmalspurbahn wieder zurück, die wie kaum eine andere einen ganz besonderen Charme gehabt haben muss. Die Strecken führten teilweise direkt durch die Dünenlandschaften, oft versandete der Oberbau. Viele Kleinbahnfreunde erzählen heute begeistert von den kuriosen Drehscheiben in Hörnum und List, auf denen die Borgward-Sattelschleppertriebwagen mit Muskelkraft gedreht werden konnten.